Passgeschichten

Wann das Urserntal besiedelt wurde, ist unbekannt. Durch das Tal führte sicher schon in frühgeschichtlicher Zeit ein Pfad, der das Wallis mit Rätien verband. Auch der Gotthardpass wurde damals gelegentlich begangen. 1955 wurde im Gotthardmätteli oberhalb von Hospental eine steinerne Pfeilspitze gefunden. Ein Jäger oder durchziehender Krieger dürfte sie im 3. Jahrtausend vor Christus verloren haben. 
In römischer Zeit gehörte das Urserntal zur Provinz Raetia. Auch damals war das hoch gelegene Alptal nur im Sommer bewohnt. Ob hier viele Bären gehaust haben? «Ursaria» bedeutet jedenfalls so viel wie Bärental, und noch heute ist der Bär im Wappen des Tals zu finden.

Unter der Herrschaft von Disentis 
Um 800 kam Ursern unter die Herrschaft des jenseits des Oberalppasses gelegenen Benediktinerklosters Disentis. Romanisch sprechende Untertanen des Klosters rodeten das Tal und liessen sich hier nieder. Im 12. Jahrhundert wanderten deutschsprachige Walser aus dem Goms ins Urserntal ein. Die alte Talkirche St. Kolumban am nördlichen Ausgang von Andermatt stammt aus dieser Zeit. Sie ist der bedeutendste romanische Sakralbau in Uri. 
In Hospental – dem natürlichen Mittelpunkt des Tals – nahm die weltliche Obrigkeit Sitz. Klösterliche Dienstleute sassen im Namen des Abts zu Gericht und zogen die Steuern ein. Als sichtbares Zeichen dieser Herrschaft bauten sie gegen Ende des 12. Jahrhunderts auf einem Felssporn oberhalb Hospentals eine Burg.

Urschner Freiheitsbrief 
Mit der Erschliessung der Schöllenen um 1200 wurde das Urserntal dank des Gotthardverkehrs zu einem politisch wichtigen und wirtschaftlich interessanten Tal. 1240 zog Kaiser Friedrich II. die Vogteigewalt des Urserntals an das Reich und übertrug sie den Herren von Rapperswil. Nach ihrem Aussterben kam die Vogtei 1283 an Habsburg. 1317 gelang es der Urschner Familie von Moos, die Vogteiherrschaft zu erwerben. 1382 erhielten die Urschner von König Wenzel den Freiheitsbrief. Sie wurden reichsfrei und selbstständig und wählten fortan aus ihrer Mitte den Ammann, der die uneingeschränkte Gerichtshoheit ausübte. 

Landrecht mit Uri 
1410 schloss Ursern mit Uri ein ewiges Landrecht ab. Ursern behielt zwar weiterhin seine innere Selbstständigkeit. Doch aussenpolitisch musste es sich Uri unterordnen. 
1649 löste sich Ursern auch endgültig vom Klos-ter Disentis. Für 1500 Gulden verzichtete der Abt auf die alten, allerdings nur noch auf dem Papier bestehenden Rechte. Auch wenn Ursern immer enger an Uri gebunden wurde, gelang es dem Tal, eine gewisse Eigenstaatlichkeit zu bewahren. Bis heute bildet Ursern neben dem alten Land Uri einen eigenen Gerichtsbezirk. Und aus der ehemaligen Talgemeinde ist die Korporation Ursern hervorgegangen, welche die gemeinsamen Allmenden und das sonstige Korporationsvermögen verwaltet.

Der Weg als Schicksal
Wie kaum ein anderes Gebiet der Schweiz sind Uri und Ursern durch den Verkehr geprägt worden. Begonnen hatte alles um 1200 mit dem Bau der Twärren- und der Teufelsbrücke. Die Bezwingung der wilden Schöllenenschlucht schien späteren Generationen derart verwegen, dass sie das Werk dem Teufel zuschrieben. Wie auch immer: Bald wussten die Urner den Passverkehr zu nutzen. Sie bildeten von Flüelen bis Andermatt vier Säumergenossenschaften, die das Transportmonopol hatten.
Als Stützpunkte auf dem Weg über den Gotthard dienten die Susten, wo die Waren gegen eine Gebühr eingelagert und auf die einzelnen Säumer verteilt wurden. Susten standen in Flüe-len, Silenen, Göschenen, Andermatt und auf der Passhöhe. 

Alter Saumweg 
Die Strecke über den Gotthard bestand bis zu Beginn des 19.  Jahrhunderts aus einem schmalen Saumpfad. Teilstücke des alten Saumwegs sind noch immer in der Schöllenen und auf der Nordseite des Gotthardpasses zu sehen. Zeugen aus dieser Zeit sind auch die Häderlisbrücke in der Schöllenen oder die alte Dorfbrücke in Hospental.
Eine bautechnische Sensation war 1708 der Durchstich des Chilchenbergs. Das Urnerloch war der erste Tunnel an der Gotthardroute. Erstellt worden war er vom Tessiner Festungsbauer Pietro Morettini.

Zeit der Postkutschen 
Zwischen 1820 und 1826 wurde die Strecke Amsteg–Göschenen, zwischen 1825 und 1830 jene von Göschenen auf die Passhöhe fahrbar gemacht. Postillion und Kutscher lösten die Säumer ab. Ab 1835 fuhr dreimal in der Woche, ab 1842 sogar täglich eine zehnplätzige Postkutsche von Flüelen nach Chiasso und umgekehrt. Sie musste 1882 der Gotthardbahn weichen. Das Urserntal wurde über Nacht vom internationalen Verkehr abgeschnitten. Doch nicht nur der Gotthardpass wurde im 19.  Jahrhundert verkehrstechnisch besser erschlossen. Von 1862 bis 1864 wurde auch die Oberalpstrasse und von 1863 bis 1866 die Furkastrasse gebaut. 

Ausbau 
Die im 19.  Jahrhundert errichteten Strassen taten ihren Dienst bis weit ins 20.  Jahrhundert. Erst die Zunahme des Verkehrs machte einen Ausbau des Strassennetzes unausweichlich. Nachdem in den 1950er-Jahren die Schöllenen mit der neuen Teufelsbrücke grosszügig ausgebaut worden war, nahm man bereits zehn Jahre später die Autobahn durch das Urnerland in Angriff. Nach elfjähriger Bauzeit wurde am 5. September 1980 der Strassentunnel durch den Gotthard eröffnet. Heute wird mit dem Bau der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) bereits wieder ein weiteres Kapitel der 800-jährigen Verkehrsgeschichte am Gotthard geschrieben.