Waldwelten
Die Aufgaben des Waldes
Charakteristisch für Ursern ist der geringe Waldbestand. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die Entwaldung des Tals bereits sehr früh begonnen hatte. Aus mehreren Gründen: Eine Klimaverschlechterung drückte die Waldgrenze herab. Lawinen und Rüfen bedrohten zunehmend den Gebirgswald. In dieser Zeit rodeten auch die ersten Siedler grossflächig den Wald, um neues Weideland zu gewinnen. Und auf den ausgelichteten Waldweiden frassen die Kühe, Schafe und Ziegen alles radikal weg, was klein war – auch die Sämlinge. Bereits um 1000 nach Christus war das Tal weitgehend kahl.
Bannwaldbrief von Andermatt
Schnell hatten die Urschner aber erkannt, dass der Wald wichtige Aufgaben erfüllt. Bereits 1397 legten sie den Wald ob Andermatt in Bann. Das heute im Talarchiv von Ursern aufbewahrte Dokument gehört zu den ältesten Waldbannbriefen der Alpen. Schon im ersten Satz kommt der Bannbrief zum zentralen Punkt: Er verbietet den Einwohnern und ihren Nachkommen auch nur Tannenreisig oder Tannzapfen, geschweige denn Stauden, Äste oder gar Bäume aus dem Wald zu holen. Wer es dennoch tut, wird mit einer saftigen Busse bestraft. Frevelt er weiter, muss er unverzüglich das Tal verlassen. Nicht der Schutz des Waldes und seiner Pflanzenwelt stand im Vordergrund. Wichtig war die Sicherung der Güter und Siedlungen im Tal. Erfahrungen und Beobachtungen hatten gelehrt, dass ein bewaldeter Berghang für Häuser und Landgüter der mit Abstand beste Schutz vor Lawinen, Steinschlag oder Wildwasser ist. Dies ist heute nicht anders.
Wiederaufforstung
Ursern wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder von grösseren Lawinenunglücken heimgesucht. Lange nahm man diese als gottgewollte Schicksalsschläge hin. Im 19. Jahrhundert ging man aber gezielt an die Wiederaufforstung. 1874 genehmigte der Bund das erste Projekt für Lawinenverbauungen und Aufforstungen. Mit gutem Erfolg: Bis 1950 entstanden die drei Wälder in Realp, Hospental und ob Altkirch völlig neu. Und die Fläche des Andermatter Bannwalds konnte verdoppelt werden. Verwendet wurden dabei fast ausschliesslich Fichten, Bergföhren, Lärchen und Arven. Wichtig ist übrigens nicht, wo die Sämlinge aufgezogen werden, sondern woher die Samen stammen. Entscheidend ist, dass die Elternbäume ebenfalls im Gebirge und auf ähnlichem Boden stehen. Heute gibt es im Urserntal wieder fast 170 Hektaren Hochwald. Weitere rund 950 Hektaren sind von Gebüschwald bedeckt.
Ein Lehrpfad im Bannwald von Andermatt zeigt die verschiedenen Baumarten und die vielfältigen Aufgaben des Waldes.
Waldreservate
Uri besitzt eine grosse Vielfalt von Waldgesellschaften. Um seltene und besonders wertvolle Waldstandorte zu erhalten und die Artenvielfalt zu fördern, scheidet der Kanton Waldreservate aus. Das Waldreservatskonzept Uri bezeichnet rund 2190 Hektar Wald (ca. 10 % der Waldfläche), die sich als Reservate eignen. In Natur-waldreservaten lässt man der natürlichen Wald-entwicklung freien Lauf und nutzt 50 Jahre lang kein Holz mehr. In Sonderwaldreservaten dagegen greift man gezielt ein, damit beispielsweise Waldweiden, Wälder mit Wildheunutzung oder Moorgebiete locker bestockt bleiben und genügend Licht auf den Boden gelangt. Freie Betretbarkeit, Sammeln von Beeren und Pilzen, Jagd oder touristische Aktivitäten werden durch Waldreservate nicht beschränkt.
In Uri existieren zurzeit zwei Waldreservate: Rütli und Rophaien. Das 2009 eröffnete Waldreservat Rütli umfasst eine Waldfläche von 42 Hektar und liegt in der Gemeinde Seelisberg. Es erstreckt sich auf rund 5 Kilometern Länge entlang der steilen Felshänge am Westufer des Urnersees und ist mit wuchsarmen -Buchen-, Winterlinden-, Traubeneichen- und Kalkföhrenwäldern bestockt. Auf forstliche Eingriffe wird verzichtet (Naturwaldreservat).
Auf der gegenüberliegenden Seeseite wurde in den Gemeinden Flüelen und Sisikon im Jahr 2010 das Waldreservat Rophaien errichtet. Es umfasst rund 292 Hektar Waldfläche und ist damit eines der grössten Waldreservate in Uri. Charakteristisch sind die grosse Lebensraum- und Artenvielfalt, der hohe Anteil seltener Waldgesellschaften von 42 Prozent (vorwiegend Föhrenwälder), die vertikale Ausdehnung vom Urnersee (434 m ü. M.) bis zum Berggipfel des Rophaiens (2 078 m ü. M.) und die eindrückliche Landschaft mit markanten Felswänden, Wildheugebieten und drei Seen. Vier Teilgebiete von insgesamt 102 Hektar werden der natürlichen Entwicklung überlassen (Naturwaldreservat); auf weiteren 190 Hektar Wald werden Bäume gezielt so gefällt, dass die schweizweit einzigartige Wildheunutzung in Föhren- und Fichtenwäldern und die offenen Waldstrukturen mit Wald-Weide-Bewirtschaftung erhalten und gefördert werden können (Sonderwaldreservat).